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„Wir brauchen Ihr Wissen“
Das Fachseminar für Altenpflege in Geseke feierte heute mit einem Festakt sein 45-jähriges Bestehen.
Nur 0,5 Prozent dessen, was in der Pflege heute weltweit geleistet werde, beruhe auf gesichertem Wissen, sagte Professorin Christel Bienstein vom Department für Pflegewissenschaften der Universität Witten/Herdecke. Sie hielt den Festvortrag zum 45-jährigen Bestehen des Fachseminars. Die Medizin sei immerhin zu 20 Prozent evidenzbasiert. Bienstein, die selbst als Krankenschwester in der Pflege angefangen hat und heute den Festvortrag hielt, erinnerte sich an allerlei Merkwürdiges aus Pflegeausbildung und -praxis vergangener Jahre.
„Früher mussten wir abends die Schnittblumen aus den Patientenzimmern entfernen, weil die angeblich nachts den Sauerstoff klauten. Niemand von uns hat gefragt, warum denn die Nachtschwester, die ständig durch einen Flur voller Schnittblumen laufen musste, morgens nicht erstickt war.“
Vieles habe sich seitdem in der Pflegeausbildung geändert und inzwischen gebe es mehr Wissen in allen Pflegebereichen. Dennoch sei die Praxis im europäischen Ausland oft fortschrittlicher als bei uns. Und noch immer seien es nur die Altenpfleger, die sich zum Beispiel mit Demenz auskennen.
„Wir brauchen Ihr Wissen“, rief Bienstein den anwesenden Lernenden, Dozenten und Praktikern der Altenpflege zu. Bei allen Reformen, die jetzt in Bezug auf die Pflege kommen, seien die Erkenntnisse aus der Altenpflege sehr wichtig. „Wir können uns nicht darauf verlassen, dass Politiker wissen, wie anspruchsvoll Pflege ist.“
Ärzteausbildung sollte Vorbild sein
„Pflege ist intellektuell und mental sehr anspruchvoll“, sagte Bienstein. „Soll ein Frühchen von jemandem versorgt werden, der nur lieb ist?“
Auch die nun beschlossene Reform der Pflegeausbildung ist für Christel Bienstein wenig hilfreich. Zwei Jahre lang sollen ab dem kommenden Jahr alle Pflegeberufe gemeinsam ausgebildet werden. Im dritten Jahr sollen sich die Schüler dann für Alten-, Kranken- oder Kinderkrankenpflege spezialisieren. „Die Leute, die nach zwei Jahren die Ausbildung abbrechen, weil es ihnen zu anstrengend ist, kann man für das dritte Jahr nicht mehr nachbesetzen.“ Sinnvoller wäre nach Ansicht der Pflegewissenschaftlerin, die Ausbildung der Ärzte zum Vorbild zu nehmen. Die seien nach ihrem Studium Generalisten ohne Spezial- und Anwenderkenntnisse. Und müssten viele Weiterbildungen absolvieren, bis sie Fachärzte werden können. „Wir brauchen weniger Spezialisierung für Kinder-, Kranken- und Altenpflege, sondern mehr Weiterbildungen.“
Barmherzigkeit und Nächstenliebe
Vieles hat sich in den vergangenen 45 Jahren im Bereich der Pflegeausbildung verändert, vieles wird sich auch in Zukunft verändern. Die Grundlage aber bleibt gleich, daran erinnerten sowohl Schwester Johanna Guthoff, Provinzoberin der Ordensgemeinschaft der Schwestern der heiligen Magdalena Postel, die das Fachseminar für Altenpflege betreibt.
Sie erinnerte in ihrem Grußwort daran, dass das Wort Pflege viele Synonyme habe (Betreuung, Fürsorge, Schutz, Hilfe – Barmherzigkeit). „Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, nämlich die Überzeugung, dass jeder Mensch eine unantastbare Würde besitzt.“ Sie glaube nicht, dass man von Berufs wegen barmherzig sein könne, meinte Schwester Johanna. „Es ist eine Haltung.“ Sie dankte der ebenfalls anwesenden Schwester Ancilla Placida Groß für den Aufbau des Fachseminars vor 45 Jahren und dem heutigen Leiter, Edis Ahmetspahic, und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dafür, dass sie diese Haltung vorleben.
Auch der Bürgermeister der Stadt Geseke, Remco von der Velden, zeigte sich überzeugt, dass Politik und Anwendungsvorschriften den Kern der Pflegeausbildung nicht berühren können. „Selbst wenn der christliche Glaube in Form von Kirchgang und anderen Dingen heute nicht mehr so sichtbar ist, geben sie der Grundüberzeugung und dem Menschenbild des christlichen Glaubens täglich praktischen Ausdruck.“
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