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Ergo- und Physiotherapeuten-Ausbildung ab sofort schulgeldfrei
Bildungsakademie und Elisabeth-Klinik Bigge-Olsberg gründen gemeinsame Träger-Gesellschaft
Gegen 16.30 Uhr brach am Mittwochnachmittag im Bürgersaal des Bestwiger Rathauses lautstarker Jubel aus. Die 100 Auszubildenden der Bildungsakademie für Therapieberufe und ihre Eltern waren sehr gespannt darauf, was ihnen das Team der Dozenten an diesem Nachmittag wohl verkünden wollte. Damit aber hatte keiner gerechnet: Ab sofort ist die Ausbildung zum Ergo- und Physiotherapeuten in der Bildungsakademie schulgeldfrei.
Möglich wird die Neuregelung der Finanzierung durch eine Kooperation des bisherigen Ausbildungsträgers, der Schwestern der heiligen Maria Magdalena Postel (SMMP), und der Elisabeth-Klinik in Bigge-Olsberg. „Wir hoffen, dass die Ausbildung dadurch noch attraktiver wird und der Bedarf an Ergo- und Physiotherapeuten in der Region langfristig gedeckt werden kann“, freut sich Akademieleiter Andreas Pfläging. Für die Auszubildenden gilt die neue Regelung bereits rückwirkend ab 1. Mai.
Auszubildende mussten seit 22 Jahren zahlen
In den bisherigen 22 Jahren des Bestehens der beiden Bildungsgänge hatten die angehenden Ergo- und Physiotherapeuten immer für ihre Ausbildung zahlen müssen. Aktuell liegt der Beitrag bei 410 Euro im Monat. „Der Grund liegt darin, dass freie Ausbildungsträger außerhalb der Krankenhäuser die Ausbildung selbst finanzieren müssen“, erläutert Andreas Pfläging. Dabei habe das von der Bildungsakademie erhobene Schulgeld die Kosten für den Betrieb noch nicht einmal gedeckt.
Der 2016 erarbeitete Bericht des Landes Nordrhein-Westfalen zu den Gesundheitsberufen hatte die Verantwortlichen in der Bildungsakademie und in der Elisabeth-Klinik dann aber auf eine interessante Option aufmerksam gemacht: Indem die Elisabeth-Klinik zum Mitgesellschafter wird, ist eine schulgeldfreie Ausbildung zukünftig möglich. Denn für die Krankenhäuser wird sie nach gesetzlichen Vorgaben anders refinanziert. „Damit haben wir hier im Sauerland ein Modell entwickelt, das in Nordrhein-Westfalen noch nicht verbreitet ist“, betont Andreas Pfläging.
„Wir müssen der Ordensgemeinschaft dafür danken, dass sie immer an der Schule festgehalten und das Defizit aus eigenen Mitteln gedeckt hat“, sagte der Geschäftsführer der Elisabeth-Klinik in Bigge, Frank Leber. „Sonst hätten wir bei der Versorgung mit therapeutischen Fachkräften in dieser Region schon lange ein Problem.“ Allein die Elisabeth-Klinik beschäftigt in ihrer Abteilungen 35 Therapeuten. „Darüber hinaus werden sie aber auch in den Praxen benötigt, die unsere Patienten weiter therapieren und nachbehandeln.“
Bedarf an Therapeuten steigt
Andreas Pfläging führte den 200 Gästen im Bürgersaal die aktuelle Versorgungssituation noch einmal vor Augen: „In Nordrhein-Westfalen kommt nur ein Physiotherapeut auf 2,5 offene Stellen und ein Ergotherapeut auf 1,4 offene Stellen. Im Durchschnitt dauert es 134 Tage, bis eine offene Position neu besetzt werden kann. Und bedingt durch den demografischen Wandel werde der Bedarf an medizinischen und therapeutischen Fachkräften steigen.
Der Akademieleiter, der jetzt Geschäftsführer der neuen Bildungsakademie für Therapieberufe gGmbH ist, hat daher keine Angst vor steigenden Bewerbungszahlen: „In den vergangenen Jahren hatten nahezu 100 Prozent unserer Abgänger schon vor dem Examen einen Arbeitsvertrag. Ihre Perspektiven werden sich auch bei einer Erweiterung unserer Kapazitäten nicht verschlechtern.“
„Bei der Bezirksregierung war die Idee daher auf offene Ohren gestoßen“, sagt Frank Leber. Mit ihrem Feststellungsbescheid vom 3. April hat sie dem neuen Modell bereits zugestimmt. Der gilt für jeweils 24 Physio- und 22 Ergotherapeuten in allen drei Ausbildungsjahrgängen. Eine weitere kostenfreie Schule für Ergo- und Physiotherapeuten gibt es im Regierungsbezirk Arnsberg nicht.
Seit 2009 eigenständig
Komprimiert ließ Andreas Pfläging, der selbst seit 18 Jahren zum Dozententeam gehört, vor der Bekanntgabe der Neuigkeit die Geschichte der Schule Revue passieren: 1995 als unabhängige Bildungsgänge des Berufskollegs Bergkloster Bestwig gegründet, gab es bereits seit 2005 eine Kooperation mit der Hamburger Fernhochschule, die den Einstieg in ein berufsbegleitendes Studium möglich machte. 2008 wurde dieser Ausbildungszweig als „Bildungsakademie für Therapieberufe Bergkloster Bestwig“ organisatorisch vom Berufskolleg getrennt. 2009 zog sie in ein eigenes Gebäude um: die ehemalige evangelische Schule in Velmede.
„Und damit kommen wir in die Gegenwart. Jetzt, 2017 gibt es wieder eine wichtige Veränderung“, so Andreas Pfläging. Und dann sortierten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bildungsakademie auf der Bühne mit großen Buchstaben zu einem Wort, das die meisten erst gar nicht fassen konnten: „SCHULGELDFREI“.
Für diejenigen, die 2017 mit der Ausbildung beginnen, bedeutet das, dass sie 14960 € anders verplanen können. Und selbst diejenigen, die ihre Ausbildung in diesem September beenden, sparen noch 2250 €.
„Dann muss ich nicht mehr am Wochenende im Supermarkt arbeiten. Das bedeutet mehr Zeit fürs Lernen“, sagt Leon Kurek begeistert. Der 19-jährige Briloner ist angehender Physiotherapeut im ersten Ausbildungsjahr. So wie er gehen viele einem Nebenjob nach, um sich ihr Berufsziel zu finanzieren.
„Ich muss nicht mehr kellnern“
Auch Nicole Borchert, die sich mit Ende 30 noch einmal für eine Ergotherapie-Ausbildung entschieden hat und im September ihr Examen macht: „Ich gehe nebenher kellnern. Das muss ich jetzt nicht mehr. Gerade in der entscheidenden Prüfungsphase ist das sicher ein Vorteil.“ Geahnt hatte sie nichts, als die Einladung zu dem Informationsabend gekommen war: „Die Überraschung ist wirklich gelungen.“
Renate Patan, die als ärztliche Leiterin auch dienstälteste Mitarbeiterin der Bildungsakademie ist, ergriff emotional bewegt noch einmal das Wort, dankte Andreas Pfläging und Frank Leber für ein Jahr intensiver Gespräche und Verhandlungen. Sie sah sogar Parallelen zum Fall der Mauer: „Auch den hätte 1989 niemand für möglich gehalten. Und jetzt eröffnen wir vielen Interessierten diese Ausbildungsmöglichkeit, die für sie vorher nicht finanzierbar war.“
Die Arbeitsagentur Meschede freut sich mit. „Wenn es hier im Hochsauerland keine Ausbildung von Ergo- und Physiotherapeuten gäbe, würden noch mehr Auszubildende und zukünftige Fachkräfte abwandern. Umso wichtiger ist es, diesen Standort zu sichern“, so Berufsberater Uli Haselhoff. Und auch der Regionaldirektor der AOK Nordwest in Meschede, Frank Simolka, begrüßt diesen Schritt: „Dies ist ein wichtiger Beitrag für die Sicherstellung der Versorgung unserer Versicherten im Hochsauerlandkreis.“
Organisatorisch ändert sich für die Auszubildenden nichts, versprach Andreas Pfläging, bevor es für alle noch ein Glas Sekt gab. Die Lehr- und Verwaltungskräfte bleiben dieselben, die Unterrichtsorganisation wie gehabt. „Nur werden viele von Ihnen nicht mehr nebenher arbeiten müssen.“ Siehe oben.
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