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Angeregte Diskussion im Fachseminar: „Geld allein pflegt nicht“
Staatssekretär Karl-Josef Laumann fordert Entscheidung für generalistische Ausbildung
„Alle wollen die generalistische Pflegeausbildung – aber keiner will sie bezahlen.“ Mit einem Satz bringt Staatssekretär Karl-Josef-Laumann die Diskussionen um die Reform der Ausbildung in der Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege auf den Punkt. Die meisten Experten sind von den Vorteilen dieses Ansatzes überzeugt, wie sie fast überall in Europa üblich ist. Deshalb lässt das Fachseminar für Altenpflege in Geseke bei dieser Diskussion auch nicht locker.
Für Freitagnachmittag hatte das Leitungsteam dieser Einrichtung den Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigten für Pflege zu einem Vortrag mit anschließender Podiumsdiskussion eingeladen. Daran nahmen auch der Geseker Landtagsabgeordnete Werner Lohn (CDU), Brigitte von Germeten-Ortmann vom Caritas-Verband Paderborn und der Professor für Pflegepädagogik, Dr. Roland Brühe, von der Katholischen Hochschule NRW aus Köln teil. Sie wünschen sich alle eine generalistische Pflegeausbildung. Auch die 70 Gäste verschiedener Ausbildungsträger applaudierten bei den entsprechenden Statements.
Pflegeberufe werden attraktiver
„Eine übergreifende Ausbildung macht diese Berufe attraktiver“, betonte Laumann. Denn sie hätten sich ganz verschieden entwickelt: „Während es in den Krankenhäusern aufgrund der kurzen Aufenthaltszeiten in der Regel keine Beziehungspflege mehr gibt, ist das in der Altenpflege ganz anders: Da geht es um die Gestaltung eines Lebensabschnittes.“
Beides habe seine Reize. Und beides könne für eine Fachkraft in unterschiedlichen Lebensphasen und -situationen reizvoll sein. Zugleich stünde sie dem Arbeitsmarkt flexibler zur Verfügung. Damit sei der generalistische Ansatz durchaus ein wirksames Mittel gegen den Pflegenotstand.
„Aber die Ausbildung in diesen Berufen ist durch Landesgesetze geregelt: Also brauchen wir alle 16 Bundesländer und in allen 16 Bundesländern eine Mehrheit im Landtag“, machte Laumann deutlich. Das Problem: Die Krankenpflegeschulen werden durch die Krankenkassen finanziert, die Altenpflegeschulen vom Land. Ein Krankenpflegeschüler wird mit 460 Euro im Monat gefördert, eine Altenpflegeschüler mit 280 Euro.
Vorschlag zur Finanzierung
Dass die Pflegeversicherung für die Finanzierung aufkommen solle, lehnt Laumann ab: „Da reden wir über mehr als eine Milliarde Euro.“ Doch längst hat der langjährige Sozialpolitiker der CDU einen Vorschlag unterbreitet: „Lasst uns eine Stiftung gründen, in die zunächst einmal jeder das einzahlt, was er bisher finanziert. Wenn dann nur noch ein paar hundert Millionen Euro fehlen, kann das die Pflegeversicherung zahlen.“
Bislang geht keiner darauf ein. Dabei habe die Bundesregierung den Willen zu einer generalistischen Pflegeausbildung sogar im Koalitionsvertrag stehen, erinnerte Laumann: „Dazu gibt es keine neuen Erkenntnisse mehr. Es wird Zeit, dass wir entscheiden.“
Von 2004 bis 2007 hatten das Fachseminar für Altenpflege und der Diözesan-Caritasverband Paderborn die generalistische Pflegeausbildung in Kooperation mit dem St. Vincenz-Krankenhaus in Paderborn bereits als Modellprojekt durchgeführt. Brigitte von Germeten-Ortmann erinnert sich: „Nach den ersten beiden Ausbildungsjahren mussten sich alle für einen Abschluss entscheiden. Das war vorgegeben. 18 entschieden sich für die Krankenpflege, zwei für die Kinderkrankenpflege und keiner für die Altenpflege.“
Das sei weise gewesen: Denn für Krankenpfleger stehe die Tür zur Altenpflege offen, umgekehrt sei die Durchlässigkeit nicht gegeben. Auch seien nur Kranken- und Kinderkrankenpflege nach EU-Recht anerkannt. „Aber schon ein Jahr später hatten sich die Absolventen zu gleichen Teilen auf die drei Berufe aufgeteilt“, so die Leiterin der Abteilung Gesundheits- und Altenhilfe beim Caritasverband für das Erzbistum Paderborn.
Trennung ist nicht zeitgemäß
Für Professor Dr. Roland Brühe belegt das: „Dass Pflegende aller Berufe in allen Bereichen tätig sind, ist längst schon ein Fakt.“ Und es sei nicht mehr zeitgemäß, Kranken- und Altenpflege getrennt voneinander zu denken: „Mit dem generalistischem Ansatz wollen wir dem Anspruch nachkommen, dass eine Pflegekraft den Menschen mit seinem ganzen Weg im Blick haben kann“ – im Krankenhaus, in der ambulanten Betreuung und auch im Pflegeheim. Daher müsse man in den Curricula für eine solche Ausbildung nicht nur verschiedene Perspektiven verschmelzen, sondern transformieren.
Brigitte von Germeten-Ortrmann formuliert es so: „Pflege muss neu gedacht werden. Dazu muss man sich von vielen Dingen lösen.“ Natürlich verursache das Ängste. Denn das Berufsbild der Altenpflege habe sich erst Ende der 60er Jahre aus der Krankenpflege heraus entwickelt. „Damals waren die Senioren, die in ein Heim gingen, noch ziemlich fit. Heute brauchen sie intensive Begleitung. So ist ein sozialpflegerischer Beruf entstanden.“
Auf der anderen Seite sorge der demografische Wandel dafür, dass auch eine Chirurgie ohne Anbindung an eine Geriatrie heute kaum noch denkbar sei. „Die Krankheitsbilder vieler Patienten sind multimorbide. Es gibt nicht mehr die Alten und die Kranken und die jungen Kranken. Wir müssen übergreifend denken.“
Große Beharrungstendenz
Die fachliche Basis sei für alle Berufe dieselbe. Das habe der Modelversuch bewiesen. Und mit diesem Wissen hätten die Absolventen für die speziellen Bereiche, in denen sie eingesetzt waren, ihre Ableitungen treffen können. „Auch in der Psychologie oder der Physiotherapie lernt man ja erst generalistisch – und spezialisiert sich dann auf Kinder oder Kranke. Warum soll das in der Pflege anders sein?“
Es gibt kaum fachliche Argumente gegen diesen Ansatz, resümiert Roland Brühe: „Aber die Beharrungstendenz ist unheimlich groß.“ Dabei wird es dringend Zeit, dass sich etwas ändert. Das machten auch die Fragen aus dem Publikum deutlich: Brauchen wir eine Umlage für die Altenpflege? Kann es auch ein einjähriges Examen für Berufswechsler geben? Und könnte die Helfer-Ausbildung nicht auch ein Basismodul für den weiteren Weg zu einem examinierten Abschluss ein? Fragen, die man im Zusammenhang mit einer generalistischen Ausbildung neu denken könnte.
Karl-Josef Laumann verschuf seiner Enttäuschung über den derzeitigen Zustand der Pflegeausbildung vor den 70 Gästen Luft: „Man kann in 16 Bundesländern Medizin studieren, ohne zu bezahlen. Aber sechs Bundesländer nehmen noch Schulgeld für die Altenpflege. Das ist unterirdisch.“ Und jedem müsse klar sein, dass es jetzt jedes Jahr zwei bis drei Prozent mehr Pflegebedürftige gebe: „Dafür brauchen wir ganz konkret Menschen, die das tun.“ Deshalb müsse diese Ausbildung nicht nur besser finanziert, sondern vor allem inhaltlich attraktiver werden – „Geld allein pflegt nicht.“
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